ZKM | Museum für Neue Kunst, 17.09.2011 – 05.02.2012
 
Tintin Wulia

* 1972 in Denpasar, Bali (ID), lebt und arbeitet in Jakarta (ID) und Melbourne (AU)


Artist Statement

Magie und Scheitern, Nationalität und Staatenbildung, Politik und Zufall, Kapitalismus und Technologie – dies sind nur einige der Themen, mit denen ich mich im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit dem Phänom Grenzen auseinandersetze. Über ihre Bedeutung kann man Aussagen treffen, indem man viele interessante Paare und Kombinationen arrangiert. Wenn etwa Technologie ohne Elektrizität funktioniert, ist das Magie. Magie plus Elektrizität erzeugt die unwiderstehliche Anziehungskraft des Kapitalismus. Da die Magie sogar das Scheitern vorwegnimmt, kann man durch sie deutlich machen, warum Geschichte im Prozess der Staatenbildung nie auf Zufall beruht. Mir persönlich wurde freilich klar, dass ich meine Nationalität dem Zufall verdanke. In einem parallelen Universum könnte ich im selben Jahr und am selben Ort geboren worden sein und trotzdem eine andere Nationalität besitzen. Bei der Herausbildung eines Nationalstaats hat der Zufall indessen keinen Platz: Es darf nur eine Sprache, ein Mutterland, eine Nation, eine Regierungsmacht und einen Weg geben.
Diese Einseitigkeit unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von meiner persönlichen Realität. So fehlt es ihr an Flexibilität und sie hat keinen Sinn für das Prozesshafte. Daher lade ich gerne andere Leute ein, am Entstehungsprozess teilzunehmen. Oft wird gerade dieser Prozess zum Kunstwerk. Ich habe gelernt, dass Menschen ideale Zufallsgeneratoren sind. Jeder hegt seine eigenen Absichten und Wünsche und ich, der Künstler, befinde mich plötzlich im Mittelpunkt eines faszinierenden Kräftespiels. Dies sind die Grundprinzipien, die für die Entwicklung meines Beitrags zum ZKM-Projekt The Global Contemporary maßgeblich sein werden. (TW)

The Butterfly Generator, 2012
Interaktive Netzwerk-Installation mit Live-Videoprojektion
Produziert in Kooperation mit ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Artist-in-Residence-Programm der Ausstellung The Global Contemporary (2011) & Osage Art Foundation, Hong Kong.
Diese Arbeit ist Teil des Praxisbasierten Dissertationsprojekts der Künstlerin an der RMIT University, Australien

In Beschreibungen von Globalisierungsprozessen finden sich zwei widersprüchliche Aussagen: So kann Globalisierung eine Vervielfältigung von Möglichkeiten bedeuten, da sie für mehr Menschen mehr Orte, mehr Dinge und mehr Wissen zugänglich macht – sie kann aber auch einen Verlust an Möglichkeiten bedeuten, sobald Ideen und Produkte standardisiert und vereinfacht werden, um eine möglichst große Zahl von Menschen zu erreichen. In der Kritik am kapitalistischen Weltbild wird letzteres beispielweise als „McDonaldisierung“ bezeichnet – als die Strategie von Konzernen, die Welt gleichförmig mit ihren Waren zu überziehen und dabei lokale Alternativen zu verdrängen.

Der Vision einer Welt, in der – im Guten wie im Schlechten – überall die gleichen Konditionen herrschen, stehen Visionen der globalisierten Welt als Chaos entgegen. Aus der Allegorie des „Schmetterlingseffekts“ lernen wir, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas hervorrufen kann, und somit kleine Ereignisse an einem Ort unvorhersehbare Konsequenzen für die gesamte Welt hervorrufen können. In „The Butterfly Generator“ hat Tintin Wulia diese beiden Weltmodelle zusammengeführt. Fast vollständig aus den Produkten eines populären Einrichtungshauses hergestellt, ist ihre Installation an jedem Ort reproduzierbar, an dem der einst in Schweden gegründete Konzern einen seiner blau-gelben Außenposten eingerichtet hat. In der Tat ist die Installation nur mit einem identischen Widerpart an einem anderen Ort – aktuell in Hong Kong – vollständig; an beiden Orten ist dabei auf einer Projektion zugleich zu sehen, was am jeweils anderen Ort gerade geschieht.

Berühren wir einen der Taster an der Installation, wird sowohl vor Ort und im Gegenstück eine „atmosphärische“ Reaktion eintreten und das Innenleben des Objekts durcheinandergewirbelt. Auf den ersten Blick stützt dies noch die These einer Gleichzeitigkeit und Gleichförmigkeit der Formen und Ereignisse – doch auf den zweiten zeichnet sich ein drohender, mitunter unheimlicher Kontrollverlust ab, da wir selbst schließlich keinen Einfluss darauf haben, wer auf der anderen Seite des Planeten gerade die Knöpfe bedient und dadurch seine, und ebenso die kleine Welt in der Installation vor uns durcheinanderbringt. (JB)


Nous ne notons pas les fleurs, Fort Ruigenhoek

Nous ne notons pas les fleurs, Fort Ruigenhoek, 2011
prozessbasierte Installation mit wachsenden Blumen, Blumentöpfen und Untersetzern, Ferngläsern, 24-stündiger Kameraüberwachung und Liveübertragung auf Videomonitoren, Im Auftrag von Kaap 2011/Stichting Storm, courtesy of the artist